Bilanz nach 100 Tagen:
Minister Christian Meyer leitet Wende in der Agrar- und Verbraucherschutzpolitik ein
HANNOVER. Die Kritiker des neuen niedersächsischen Agrar- und Verbraucherministers Christian Meyer (Grüne) reiben sich die Augen: Einen solch furiosen Start haben sie dem einst als „Bauernschreck“ betitelten Grünen-Politiker nicht zugetraut. Doch die Bilanz nach 100 Tagen im neuen Amt fällt gut aus. In den Medien wird Meyer als Aktivposten der Landesregierung gefeiert. Hier ein Zehn-Punkte-Plan der etwas anderen Art – mit den ersten Erfolgen der sanften Agrarwende in Niedersachsen:
1. Für eine neue Agrar- und Umweltpolitik im Dialog
Die Niedersächsische Landesregierung strebt eine Neuausrichtung der Agrar- und Umweltpolitik an. Innerhalb der ersten Hundert Tage wurde dazu in unzähligen öffentlichen Veranstaltungen diskutiert und Gesprächen mit Landwirten, Umweltschützern, Kommunen und Verbrauchern sowie ihren Verbänden geführt.
Bei der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen stehen Agrar- und Umweltpolitik in einem wechselseitigen Verhältnis. Einerseits muss die Landwirtschaft die steigende Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher nach gesunden und ökologischen Produkten bedienen. Andererseits gilt es, dies mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt sowie einer nachhaltigen Sicherung der Boden- und Wasserhaushalte in Einklang zu bringen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist eine wesentliche Voraussetzung für eine lebenswerte Zukunft und die Gesundheit der Menschen. Deshalb setzt sich die Landesregierung für den Erhalt unserer wertvollen Landschaften, unserer natürlichen Lebensgrundlagen und für mehr Lebensqualität ein.
2. Ökolandbau-Förderung gestärkt
Mit 2,8 Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche ist Niedersachsen bislang bundesweit letzter, während die Nachfrage nach Ökolebensmitteln deutlich steigt. Die Landesregierung will daher die Erzeugung heimischer Lebensmittel aus ökologischer Wirtschaftsweise erhöhen. Dafür wurde die Umstellungsprämie für den Ökolandbau von 262 Euro auf 320 Euro pro Hektar und die Beibehaltungsprämie von 137 Euro auf 200 Euro pro Hektar deutlich erhöht. Damit ist Niedersachsen vom Schlusslicht in Sachen Ökolandbauförderung zu einem Spitzenreiter im bundesweiten Vergleich aufgestiegen. Doch höhere Förderung allein reicht nicht. Aus diesem Grund wurden weitere begleitende Maßnahmen beschlossen, wie zum Beispiel eine Unterstützung für die Aktionstage Ökolandbau sowie die Förderung von rund 20 praxisorientierten Öko-Forschungsvorhaben.
3. Frieden in den Dörfern – Mehr Anreize für Tier- und Umweltschutz
Große Massentierhaltungsanlagen sind in Niedersachsens Kommunen höchst umstritten und werden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Die Landesregierung hat daher den Wunsch der Kommunalen Spitzenverbände nach Abschaffung der Privilegierung großer gewerblicher Ställe erfolgreich unterstützt. Die Landesregierung nimmt die Gefahren resistenter Keime aus Massentierhaltungsanlagen ernst. Strengere Vorgaben bestimmen künftig den Gesundheits- und Immissionsschutz bei Stallbauten. Von Tierhaltungsanlagen gehen Schadstoffe wie Stäube und Ammoniak sowie Gerüche aus, die die Nachbarschaft und die Umwelt erheblich belasten können. Aus Tierhaltungsbetrieben können zudem Pilze, Bakterien und Viren in die Luft gelangen und so die Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner beeinträchtigen. Die Verschärfung wurde gemeinsam mit dem Umwelt- und Sozialministerium auf den Weg gebracht. Ein Punkt: Ab sofort ist in den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen von großen Schweinehaltungsanlagen ab 2000 Mastschweinen der Einbau von Abluftreinigungsfiltern festzuschreiben. Bei Geflügel wird dies noch geprüft.
Ab 30.000 Masthühnern, 15.000 Legehennen, 1500 Mastschweinen und 600 Kühen sind in Zukunft strenge Keimschutzgutachten erforderlich.
Der Wunsch vieler Kommunen und Bürger nach einheitlichen Standards und besserem Umweltschutz erhält Kontur. Überdies erfolgt die Förderung von Stallbauanlagen aus den Agrarinvestitionsmaßnahmen in Zukunft nur noch bei kleinen und mittleren Ställen. Maßstab sind dabei die im Immissionsschutzrecht festgelegten Grenzen. In besonders viehdichten Regionen sind zusätzliche kommunale Steuerungsmöglichkeiten angebracht. So ist bei Großställen ein Bezug zur Futterfläche nach Ansicht des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unabdingbar.
4. Lehren aus den Skandalen – Effektivere Lebens- und Futtermittelkontrolle
Pferdefleisch in der Lasagne, Mogelpackungen bei Eiern und Schimmelpilz im Mais: In den ersten 100 Tagen hat sich gezeigt, dass es enorme Lücken bei Lebens- und Futtermittelkontrollen gibt. Daher hat das Ministerium eine gebührenfinanzierte Stärkung der Lebens- und Futtermittelkontrolle beschlossen. Derzeit laufen die Abstimmungen innerhalb der Landesregierung zur konkreten Umsetzung dieses Vorhabens. Ausgebaut werden sollen die Kontrollen zum Schutz der VerbraucherInnen in den Bereichen Futtermittel, Lebensmittel, Antibiotika, Tierschutz und Öko-Kontrollstellen. Außerdem wurde auf Antrag Niedersachsens im Bundesrat die Schaffung eines Haftungsfonds der Industrie für bei Skandalen unschuldig in Not geratene Landwirte gefordert.
5. Stärkung von Verbraucherschutz und Verbraucherinformation
Erstmals in der Landesgeschichte sind alle Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz unter einem Dach zusammengeführt. Die Mittel für die Verbraucherzentrale wurden um 50 Prozent auf jetzt mindestens 1,5 Millionen Euro jährlich erhöht und Planungssicherheit geschaffen. Ziel ist, die Rolle der Verbraucherzentrale weiter zu stärken. Wichtig für den Verbraucherschutz ist auch Transparenz, deshalb setzt sich Niedersachsen gemeinsam mit anderen Bundesländern im Bundesrat dafür ein, dass auch in Lebensmitteln verarbeitete Eier und Eiprodukte zukünftig gekennzeichnet werden. Bei Backwaren oder Tiefkühlprodukten, aber auch bei gefärbten Ostereiern muss die Haltungsform der Tiere klar erkennbar sein.
Auch während der Freihandelsabkommen mit den USA darf unser Verbraucherschutz- und Tierschutzniveau nicht zur Disposition stehen. Gentechnik in Lebensmitteln, Klontiere und Chlorhähnchen wollen wir nicht!
Im Rahmen der Verbrauchschutzministerkonferenz wurde ein Antrag Niedersachsen beschlossen, der die Bundesregierung auffordert, bei der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Interessen der Verbraucher deutlich stärker als bisher zu berücksichtigen und auch den Verbraucherverbänden einen Anspruch auf Herausgabe eines Teils der sogenannten Vorteilsabschöpfung an sich selbst einzuräumen.
6. Umweltorientierte Wald- und Jagdpolitik
Niedersachsens Wälder werden umweltgerechter und nachhaltiger geführt. Der Ausverkauf der Landesforsten und die Privatisierung wurde gestoppt. Waldkindergärten müssen keine Gebühr von 250 Euro für das Nutzen des Waldes mehr zahlen. Mit einem Waldbeirat werden noch vor der Sommerpause gesellschaftlich relevante Gruppen eingebunden und die Umweltverbände bekommen neben der Wirtschaft einen Sitz im Aufsichtsrat der Landesforsten.
Zum Schutz der Verbraucher und der Umwelt hat Niedersachsen die Einführung der bleifreien Jagd in einem Stufenplan beschlossen. Ab spätestens 1. April 2014 darf die Jagd auf rund 330.000 Hektar im niedersächsischen Landeswald nur noch mit bleifreier Munition ausgeübt werden. Nach jahrelangen Diskussionen und ständigen Weiterentwicklungen in der Ballistik, war es höchste Zeit für den Umstieg auf bleifreie Jagdmunition.
7. Gentechnikfreies Niedersachsen
Niedersachsen ist im Mai 2013 dem „Europäischen Netzwerk gentechnikfreier Regionen“ beigetreten. Die Ziele des Netzwerks sind der Schutz von gentechnikfreiem Saatgut vor Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Organismen und der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen. Die Landesregierung verfolgt dabei eine Null-Toleranz-Strategie, um die Ziele der Charta zu erreichen. Verursacher entsprechender Kontaminationen sollen zu Schadensersatzleistungen herangezogen werden können. Auf landeseigenen Flächen wird der Einsatz von Gentechnik nicht zugelassen. Dies schützt nicht nur die Umwelt vor den Auswirkungen freigesetzter gentechnisch veränderter Organismen, sondern stärkt auch die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, die mehrheitlich Produkte wie gentechnisch veränderte Kulturpflanzen, Futtermittel und Lebensmittel ablehnen.
Auf Europäischer Ebene macht sich Niedersachsen auch für eine Kennzeichnung von mit genmanipuliertem Futter erzeugten Produkten wie Milch, Fleisch und Eier stark.
8. Freiheit für die Hühner
Während bislang Freilandgeflügel bei jeglichen Tierseuchen in den Stall gesperrt werden musste, hat Niedersachsen nun zusammen mit dem Bund eine tierschutzfreundliche andere Regel. Grundsätzlich bleibt Freilandhaltung erlaubt, nur wenn in unmittelbarer Nähe eine Tierseuchengefahr besteht, müssen die Tiere in den Stall. Bislang mussten etwa in der Arche Region Lüneburg mit bedrohten Nutztierrassen alle Hühner in den Stall, wenn im weit entfernten Emsland eine leichte Vogelgrippe in einem Massentierhaltungsstall ausbrach. Nun heißt es im Zweifel für die Hühner
9. Beendigung des Torfabbaus
Aus Gründen des Klima- und Naturschutzes sollen in Zukunft alle Torfabbaugebiete aus dem sogenannten Landesraumordnungsprogramm gestrichen werden. Die Zerstörung der Moore ist mit 12 Prozent der Treibhausgasemissionen einer der größten Klimakiller in Niedersachsen.
Das erforderliche Änderungsverfahren des Landesraumordnungsprogramms soll noch vor der Sommerpause eingeleitet werden. Dies ist ein wichtiger erster Schritt zum Schutz der Moore. Die Landesregierung beabsichtigt weiter, die Moore als natürliche CO2-Speicher zu definieren und auf diesem Weg den weiteren Torfabbau zu beenden.
10. Reform der europäischen Agrarpolitik
In der laufenden Debatte um die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik hat das Landwirtschaftsministerium aktiv durch Gespräche in Brüssel und in Verhandlungen im Zuge der Agrarministerkonferenz seinen Einfluss geltend gemacht. Niedersachsen verfolgt das Ziel, die europäische Agrarförderung zum Vorteil kleinerer und mittlerer Betriebe neu auszurichten. Gemeinsam mit anderen Bundesländern setzt sich das Landwirtschaftsministerium dafür ein, dass zukünftig die Betriebe für die ersten Hektare eine höhere Förderung erhalten. Zudem unterstützt Niedersachsen das von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos angestrebte Greening und damit die Ökologisierung der Landwirtschafsförderung. Das Grundprinzip der Neuausrichtung der Agrarförderung in Niedersachsen nach der Devise „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ soll zum Modell in der Europäischen Union werden.
Für Bienenweiden soll es in Absprache mit den Imkern ein besonderes Förderprogramm geben. Das von der EU beschlossene Verbot dreier Bienengifte wird von der Landesregierung begrüßt. Beim Saatgut kämpft der Minister für die Entbürokratisierung und gegen Auflagen für die Erhalter alter Obst- und Gemüsesorten.
Artikel-Informationen
erstellt am:
03.06.2013
Ansprechpartner/in:
Klaus Jongebloed
Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Calenberger Str. 2
30169 Hannover
Tel: 0511-120-2095
Fax: 05 11/1 20-23 82