Agrarminister Christian Meyer warnt vor Post-Antibiotika-Zeitalter
„Resistenz gegen Colistin ein Alarmsignal" - Diskussionsabend mit rund 150 Gästen
BERLIN/HANNOVER. Mit einem eindringlichen Appell hat sich am Donnerstagabend Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer an Landwirte, Tierärzte und Pharmafirmen gewandt, um den nach wie vor zu hohen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu reduzieren. Ein Thema treibt ihn dabei besonders um: Jüngste Erkenntnisse über die sich offenbar weltweit immer weiter verbreitende Resistenz gegen Colistin – dem bei manchen Keimen letzten wirksamen Antibiotikum für den Menschen. „Das ist ein Alarmsignal", sagte der Minister.
Meyer forderte, „mit Medikamenten für Masttiere nicht weiter so verschwenderisch umzugehen wie bisher. Denn ein solcher Umgang hat fatale Auswirkungen auch auf die Humanmedizin, weil es zu immer mehr multiresistenten Keimen beim Menschen kommt. Ohne Richtungswechsel steuern wir geradewegs in ein Post-Antibiotika-Zeitalter", so Meyer. „Dann wird irgendwann auch das letzte noch zur Verfügung stehende Reserveantibiotikum für Menschen nutzlos. Damit steht die Gesundheit insgesamt auf dem Spiel", sagte der Minister auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Umweltorganisation BUND in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin. Rund 150 Gäste nahmen an der Diskussion unter dem Titel „Wundermittel Antibiotika - Einsatz in Tierställen und die Folgen für die Gesundheit von Mensch und Tier" teil. An der Podiumsdebatte und als Referenten waren neben dem Landwirtschaftsminister Christiane Cuny und Wolfgang Witte vom Robert-Koch-Institut (RKI), BUND-Vorsitzender Hubert Weiger, Bernhard Kühnle vom Bundesagrarministerium, der SPD-Bundestagsabgeordnete Wilhelm Priesmeier sowie Friedrich-Otto Ripke, der Vorsitzende des Verbandes der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft (NGW), beteiligt.
RKI-Expertin Cuny verwies auf die „Hotspot-Regionen und das Schweinedreieck" insbesondere in Niedersachsen und benannte als Problem „den oft unkritischen Antibiotikaeinsatz". Ihr Kollege Witte ergänzte: „Der verantwortungsbewusste Umgang mit Antibiotika muss gestärkt werden." Witte machte sich stark für eine „One-Health-Strategie" – Tier- und Humanmedizin seien bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes gleichermaßen gefordert. NGW-Vorsitzender Ripke räumte ein, man habe beim Thema Antibiotikaeinsatz Zeit verloren, die für die Gesundheit der Menschen existenziell sei. Er persönlich wünsche sich „mehr Holland" – ein Hinweis darauf, dass die Niederlande es geschafft haben, den Antibiotikaeinsatz binnen kurzer Zeit um weit mehr als 50 Prozent zu minimieren. BUND-Vorsitzender Hubert Weiger forderte auf der Diskussionsveranstaltung ein Ende von „Turbomast" und „Hochleistungszucht"; ohne Antibiotika, so Weiger, würden viele Tiere dies gar nicht überstehen. Priesmeier sagte, „Ursache aller Erkrankungen sind die Haltungsbedingungen".
Jeder Einsatz von Antibiotika trage zur Entwicklung von Resistenzen bei, sagte der niedersächsische Landwirtschaftsminister. „Bakterien und Keime, gegen die die Medikamente eigentlich wirken sollen, entwickeln multiresistente Eigenschaften. Die Arzneien werden wirkungslos." Studien belegten, dass die in der Tierhaltung teils massenhaft eingesetzten Antibiotika daran einen Anteil hätten, sagte Meyer. Wie ernst die Lage sei und „welche weltweite Dimension" diese für den Menschen existenzielle Thematik mittlerweile eingenommen habe, zeigten die jüngsten Forschungen zum Colistin. Es wird zwar vor allem in der Nutztierhaltung zur Behandlung von Darmerkrankungen eingesetzt und zählt im Agrarbereich zu den am häufigsten benutzten Arzneien. Trotz seiner Nebenwirkungen für den Menschen zählt jedoch die Weltgesundheitsorganisation Colistin zu den unverzichtbaren Medikamenten in der Humanmedizin.
„Die Berichte der Forscher legen einen Zusammenhang zwischen dem Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung und der Entwicklung multiresistenter Keime beim Menschen nahe", sagte der Minister. „Umso wichtiger ist es, die Verwendung von Antibiotika in Tierställen zu reduzieren. Wir dürfen diesen Kampf nicht verlieren." Meyer: „Das zunächst nur in China nachgewiesene übertragbare Gen mcr-1, das eine Resistenz gegen Colistin verursacht, ist auch in Darmbakterien von Nutztieren in Deutschland weit verbreitet. Das legt zumindest die jüngste Mitteilung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nahe." Die Entwicklung betrachte er „mit großer Sorge", sagte der Landwirtschaftsminister. „Denn anders als zuvor kann das Resistenzgen nach Erkenntnissen der Wissenschaftler nun auch zwischen Bakterien übertragen werden." Den Studien zufolge ist nicht mehr nur allein China betroffen, sondern auch Deutschland, die Niederlande und Großbritannien.
Dass das Thema Antibiotika-Resistenzen eine weltweite Dimension erreicht hat, machte Bernhard Kühnle vom Bundesagrarministerium deutlich. Der G7-Gipfel der Gesundheitsminister habe vor kurzem Risiken und Szenarien besprochen, so Kühnle. Und auch der Gipfel der G20, also der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, werde 2017 unter deutscher Präsidentschaft das Thema auf die Tagesordnung setzen. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht von Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer „völlig unverständlich", warum die CDU im Landtag vorauseilend Kritik an der Antibiotika-Veranstaltung in Berlin geübt habe und ihm Panikmache sowie einen verantwortungslosen Umgang mit einer ernsten Materie vorwerfe. Meyer: „Verantwortungslos ist das Vorgehen der CDU – nämlich auch dann noch zu beschwichtigen und zu beschönigen, während britische und chinesische Experten bis hin zum BfR schon Alarm schlagen."
Der Landwirtschaftsminister zeigte sich überzeugt, „dass Niedersachsen mit der vorbildlichen Umsetzung seiner Antibiotika-Minimierungsstrategie erste Erfolge erzielt hat. Wir werden es schaffen, innerhalb von fünf Jahren den Antibiotikaeinsatz um die Hälfte zu verringern." Durch das Inkrafttreten der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes müssen die Tierhalter in Deutschland seit 2014 den Behörden mitteilen, wie oft sie Antibiotika im Stall einsetzen. Die Meldepflicht gilt allein für Mastbetriebe. Wer besonders hohe Mengen verabreicht hat, muss Minimierungsmaßnahmen einleiten.
Bundesweit sind im Jahr 2014 etwa 25 Prozent weniger Antibiotika an Tierarztpraxen abgegeben worden als 2011. Von aktuell rund 1200 Tonnen in Deutschland gingen ungefähr 726 Tonnen nach Niedersachsen, also mehr als 60 Prozent, und zwar vor allem in die Region Weser-Ems. Zwar ging in Niedersachsen der Antibiotikaeinsatz bei Puten um 17 Prozent und bei Masthähnchen um etwa 19 Prozent zurück. Das sei aber kein Grund, sich zurückzulehnen, so Meyer. „Bei Puten und Mastschweinen liegt Niedersachsen noch deutlich über dem Bundesschnitt. Wir haben noch harte Arbeit vor uns." Der Landwirtschaftsminister nahm zugleich den Bund in die Pflicht: „Berlin muss endlich eine Negativliste derjenigen Reserveantibiotika vorlegen, die nicht mehr oder nur noch unter strengen Auflagen in der Tierhaltung eingesetzt werden dürfen."
Artikel-Informationen
erstellt am:
08.01.2016
Ansprechpartner/in:
Klaus Jongebloed
Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
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